Stimmung und Lage der Menschen
Die Stimmung der Menschen ist geprägt vor der Angst vor Mobilisierung und wirtschaftlicher Not. Es herrschen Anspannung und große Nervosität, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Die Menschen haben Angst – Angst vor dem Krieg und ihrer Zukunft nach dem Krieg.
Für die Wirtschaft ist diese Situation katastrophal. Die Firmen haben nicht genügend Mitarbeiter und keinen ausreichenden Absatzmarkt.
Wehrfähig gelten alle Männer zwischen 18 und 20 Jahren. Doch viele von diesen kämpfen entweder bereits, befinden sich im Ausland oder wollen sich dem Kriegsdienst entziehen. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung besteht aber nicht.
Derzeit läuft eine allgemeine Mobilmachung. An vielen Straßen, vor allem an allen Ausfallstraßen, stehen Kontrollpunkte, an denen die Insassen genau kontrolliert werden. Die Menschen werden einfach von der Straße geholt; sogar in ein Schwimmbad wurde kürzlich eingedrungen, um junge Männer aufzuspüren. Die Behörden dringen auch in Wohnungen, Firmen, Clubs ein. Junge Männer im wehrpflichtigen Alter werden gesucht, registriert und zwangsweise direkt der Mobilmachungsbehörde überstellt. Dabei werden ihnen ihre Mobiltelefone abgenommen, so dass sie nicht einmal ihre Familien informieren können.
Die beiden Medizintechniker des Medical Centers können aus diesem Grund nicht nach Munkacs kommen, um uns zu treffen.
In den letzten Wochen haben neun junge Männer beim Versuch, über den Fluss Theiß nach Ungarn zu schwimmen und so der Registrierung zu entkommen, ihr Leben verloren. Die Theiß ist gefährlich, mit vielen Strudeln und Stromschnellen.
Die Freiheitsrechte sind stark eingeschränkt. Wer sich vor der Mobilisierung versteckt, verliert seinen Bank Account, seinen Führerschein etc. Es gibt keine klaren Regeln bei der Mobilisation; es herrscht viel Willkür. Insgesamt gibt es bei den Kontrollen an den Straßen viel Korruption.
All das, so unser Eindruck, entfremdet die junge Generation von ihrem Heimatland.
Ein besonders tragisches Beispiel ist die Geschichte eines Epileptikers, der aufgegriffen und registriert wurde. Die Polizisten glaubten ihm seine Epilepsie nicht, und er starb an einem Anfall im Auto. Auch eine Person mit nur einem Auge wurde ins Mobilisierungsbüro überstellt.
Die jungen Männer, die ergriffen werden, erhalten nur zwei bis drei Wochen Training, bevor sie an die Front müssen. Daher gehen viele junge Männer gar nicht mehr auf die Straße, sie verstecken sich. Das Straßenbild hat sich stark verändert, und wir sehen fast nur Frauen. Am Abend, nach Geschäftsschluss, sind die Straßen leer. Auch im Gottesdienst sind fast nur Frauen oder ältere Männer anwesend.
Ein Schutz vor Einberufung besteht, wenn man mehr als drei Kinder unter 18 Jahren, ein behindertes Kind oder selbst eine Behinderung hat. Doch auch hier gelten häufig keine klaren Regeln, und Bestechung spielt oft eine Rolle. Die Soldaten an der Front werden gut bezahlt und erhalten etwa 1400 € im Monat. Alle offiziell angestellten Menschen sind registriert und leben in ständiger Angst, eingezogen zu werden.
Was die Einberufung angeht, ist nur das Personal im städtischen Krankenhaus einigermaßen sicher, weshalb auch das Medical Center mit seinen halbtagsangestellten Ärzten kein Problem hat, da diese die andere Hälfte im Krankenhaus arbeiten. Für voll angestellte Ärzte im Medical Center ist die Lage schwieriger; wer registriert ist, kann das Land nicht mehr verlassen. Unter dem Kriegsrecht dürfen mittlerweile sogar alle, die ein medizinisches Diplom haben, das Land nicht mehr verlassen.
Am 18. Mai 2024 tritt ein neues Gesetz in Kraft, dann dürfen auch Krankenschwestern und alle, die über medizinische Kenntnisse verfügen, das Land nicht mehr verlassen. Die Kollegen im Medical Center befürchten, dass auch ihre leitende Krankenschwester in den nächsten Tagen das Land verlassen wird, was für das Medical Center eine schlichte Katastrophe bedeuten würde.
Ärzte und Krankenschwestern, die im Ausland arbeiten, können ihre Familien in der Ukraine nicht mehr besuchen. So können auch die Töchter von Pal und Laszlo die als Ärztinnen in Ungarn bzw. in Dänemark arbeiten, nicht mehr nachhause kommen – sie dürften nicht wieder ausreisen.
Es wird geschätzt, dass etwa 18.000 Menschen in den letzten Monaten das Land über die grüne Grenze nach Rumänien verlassen haben.
Der Krieg trennt die Familien; in den Dörfern stehen mehr als die Hälfte der Häuser leer. Häufig haben ganze Familien das Land verlassen, nur die alten Menschen bleiben allein zurück.
Roma-Frauen mit mehr als drei Kindern heiraten gegen Geld Männer, die so der Einziehung entgehen können, da sie durch die Heirat offiziell als Väter von mehr als drei Kindern gelten und nicht eingezogen werden können. Diese Männer nehmen für diesen Deal Kredite auf, gehen ins Ausland und zahlen die Schulden mit dem dort verdienten Geld ab.
Wirtschaftliche Situation der Menschen in der Gemeinde
In der Evangelisch-Reformierten Gemeinde, werden 39 Familien mit Lebensmitteln versorgt. Ein Paket mit Nudeln, Reis, Zucker, Mehl, Öl und anderen Basislebensmitteln kostet sieben Euro.
Während unseres Aufenthalts besuchten wir eine 70-jährige Dame, die mit ihrem Sohn in einem kleinen Haus lebt. Ihre Situation wollen wir hier beispielhaft für viele Familien beschreiben: Ohne die Unterstützung durch die Gemeinde wäre es ihr nicht möglich, zu überleben. Ihre finanzielle Situation ist sehr angespannt. Sie erhält eine monatliche Rente von 85 €, von der 25 € für Elektrizität aufgebracht werden müssen. Zusätzlich fallen jährlich hohe Kosten für Brennholz an, das sie für das Heizen benötigt. Dafür muss sie drei Monatsrenten aufwenden. Das Haus ist heruntergekommen und dringend renovierungsbedürftig, wofür aber die Mittel fehlen.
Alle notwendigen Medikamente erhält sie ebenfalls von der Gemeinde, unterstützt durch unsere Spenden. Ihr Sohn kann nicht regulär arbeiten, da er bei einer festen Anstellung registriert und eingezogen würde. Daher übernimmt er nur Gelegenheitsarbeiten.
Es ist verboten, den nahegelegenen Wald zu betreten, um z.B. Pilze zu sammeln (was für viele Menschen eine „Einkommensquelle“ war, Grund ist die Grenznähe.
In Transkarpatien stellen die Binnenflüchtlinge 1/3 der Bevölkerung.
Situation im Kinderheim
Im Kinderheim leben derzeit sechs Kinder im Alter von 4 bis 17 Jahren. Der Ehemann der Leiterin arbeitet in Ungarn und kann nur ein bis zweimal im Jahr nach Hause kommen. Sie stemmt alles allein – wie sie das bewältigt, ist uns ein Rätsel. Da er noch unter 60 Jahren alt ist, ist er ebenfalls gefährdet. Derzeit wollen viele Menschen Kinder adoptieren, um sie vor möglichen Gefahren zu schützen und sicherzustellen, dass sie in der Familie bleiben. Auch das Kinderheim versucht, die bei ihnen lebenden Kinder zu adoptieren, damit sie ihnen nicht weggenommen werden können, da sie ja nicht die leiblichen Eltern sind und der „Adoptionsdruck“ groß ist.
Die nächtlichen Alarme machen den Kindern große Angst. In der Nähe des Kinderheims ist der Alarm besonders laut, da dort der Bahnhof und das Krankenhaus liegen.
Das Kinderheim finanziert sich durch die Unterstützung der Gemeinde und erhält für jedes Kind vom Staat etwa 85 € im Monat. Sobald jedoch ein Kind ein Stipendium im Gymnasium erhält, wird die staatliche Unterstützung entsprechend reduziert. Auch das Kinderheim befindet sich dementsprechend in wirtschaftlicher Not.
Soldatenfriedhof in Munkacs
Auf dem städtischen Friedhof in Munkacs gibt es einen alten russischen Soldatenfriedhof, um den herum sich die Gräber von im Krieg gefallenen Soldaten gruppieren. In den letzten Tagen wurden mindestens 20 neue Gräber angelegt. Das Sehen und Erleben dieser Gräber, auf denen jeweils eine ukrainische Flagge steht, ist äußerst bewegend.
Zur Zahl der Gefallenen gibt es keine offiziellen Angaben.
In der Innenstadt stehen riesige Tafeln mit Bildern der Gefallenen Einwohner der Stadt.
Situation in der Schule in Peterfalva
Die Schule in Peterfalva hat derzeit 170 Schüler, ab September werden es 190 sein. Von den männlichen Absolventen gehen 50 % ins Ausland. Die Lehrer sind bislang alle geblieben. Die jungen Schüler haben große Angst vor der Zukunft, haben keine Pläne für diese Zukunft, sind frustriert. Trotz der großen psychischen Belastungen haben die Leistungen der Schüler nicht nachgelassen.
Im übrigen sind die wirtschaftlichen Probleme der Schule unverändert.
Zusammenfassung
Die Reise hat uns tief bewegt und die dringende Notwendigkeit weiterer Unterstützung deutlich gemacht. Die Situation vor Ort ist ernst, und die Zukunft der Menschen ist ungewiss. Es ist entscheidend, dass wir weiterhin solidarisch sind und diese Gemeinschaft unterstützen.
